Bringen Sie Ihre Botschaft "unters Volk"

18.04.2020

Am Anfang schuf Gott die Menschenwürde…

“Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schätzen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.” So steht es in Artikel 1 unseres Grundgesetzes. Viele Besucher der Ausstellungen vermuten, dass dieser oberste Wert unserer Verfassung eine Erfindung der Aufklärung ist. Immanuel Kant gab die Parole aus: “Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!”. In der Folge wurde in weiten Teilen Europas der Adel und die übermächtige Kirche vom Thron gestoßen und in ihre Schranken gewiesen. Sicherlich hat diese Epoche unser Denken bis heute nachhaltig geprägt. Die Überzeugung, dass jeder Mensch einen unveräußerlichen Wert hat, ist jedoch wesentlich älter.

Vor 500 Jahren stritten Erasmus von Rotterdam und Martin Luther um die Frage des “Freien Willens”. Die Reformation hob die alte Gesellschaftsordnung Europas aus Angeln. Durch die Übersetzung der Bibel in die Sprache des Volkes wurden ganze Landstriche alphabetisiert. Kritisches Denken brach sich bahn, Menschen waren nunmehr kein Spielball der Obrigkeit mehr. Sie konnten sich selbst eine Meinung bilden und aufgrund der Bibel eine kritische Position einnehmen. Der freie Wille wurde offensichtlich. Schnell wurde klar: Biblische Offenbarung kritisiert Missstände der jeweiligen Zeit und gründet in der Überzeugung, dass alle Menschen denselben Wert haben.

In der Zeit des “dunklen Mittelalters” herrschte eine Ständegesellschaft. Die einfachen Bauern arbeiteten unter sklavenartigen Umständen für ihre Herren. Doch auch in dieser dunklen Zeit gab es Lichtblicke: In Gestalt von Wandermönchen, die beseelt waren von der Idee, das harte Los der einfachen Menschen zu mindern. Sie entdeckten z.B. die Brille in China und brachten sie nach Europa. Fortan konnten die Gelehrten länger Forschung treiben und ihr Wissen der einfachen Bevölkerung zur Verfügung stellen. Ebenso fand auf diesem Wege die Schubkarre zu uns und vereinfachte das Leben der Menschen enorm. Die Chinesen haben es damals nicht für nötig befunden, diese Erfindungen unters Volk zu bringen- es lag auf der Hand, dass technischer Fortschritt für die Menschen auch immer eine Aufwertung der eigenen Identität mit sich bringt. Es galt, das unter allen Umständen zu vermeiden, damit die damals bestehende Gesellschaftsordnung nicht aus den Fugen gerät.

In Europa lief das damals mitunter anders: Kurz nach der Erfindung des Kummet konnten Bauern diese geniale Lastenverteilung am Hals der
Zugtiere bereits nutzen. Die Erträge in der Landwirtschaft wuchsen. Ähnlich sensationell und dankbar, wie die Erfindung des Traktors in der Neuzeit von statten ging, mag in jenen Tagen die Nutzung des Kummets eingeführt worden sein. Der Mönch Theophilus Presbyter bringt als Zeitzeuge den Geist dieser Bewegung auf den Punkt: “Der menschliche Erfindergeist muss zur Ehre Gottes eingesetzt werden, um den Menschen zu dienen.”

Zur selben Zeit erlebten weite Teile der arabischen Welt die sogenannte “Blüte des Islam”. Was genau brachte den Islam zum Blühen? Ähnlich wie die europäischen Klöster bildeten sich in der islamischen Welt sogenannte “Häuser der Weisheit”, in denen Gelehrte beisammen saßen und Forschung betrieben. Diese Einrichtungen waren niederschwellig für die Menschen nutzbar. In Bereichen der Medizin, Mathematik, Astronomie, Geographie, Literatur, Philosophie und Musik wurde geforscht und gelebt. Die Wissenschaften konzentrierten sich hierbei auf Fortschritt für den Menschen zur Ehre Gottes und kamen damit dem oben genannten Bekenntnis von Theophilus Presbyter erstaunlich nahe.

Christentum und Islam (in seiner Blütezeit) begründen ihr Menschenbild mit dem jüdischen Genesis Kap. 1. Alle drei Religionen teilen den biblischen Schöpfungsbericht nahezu identisch: Gott hat den Menschen geschaffen zu seinem Ebenbild. Jeder Mensch ist damit ein Gedanke Gottes aus der Ewigkeit in Zeit und Raum gestellt. Weil Gott den Menschen liebt, hat jeder einen unveräußerlichen Wert.

Folglich sind wir befreit von jeglichen Bemühungen, unseren Wert selbst steigern zu müssen oder anderen ihren Wert zu rauben. Der biblische
Schöpfungsbericht ist nicht nur das älteste Zeugnis der Menschenwürde, es vermittelt auch in Opposition zu allen Alternativen die einzig befreiende, ja segensreiche Wertschöpfung des Menschen: Naturrecht, Sozialdarwinismus, Kommunismus oder ein extremer Kapitalismus sehen die Aufgabe der Wertschöpfung ausschließlich beim Individuum und haben in Vergangenheit und Gegenwart leider allzu oft ihre unheilvolle Wirkung entfalten können.

Der Publizist Wolfram Weimer sagte einmal: „Religion ist der Humusboden auf dem Werte wachsen“. Die Menschenwürde bildet den mit Abstand höchsten Wert unseres Grundgesetzes. Die uralte Geschichte dieses Wertes zeigt, wie maßgeblich die Prägung des jüdisch-christlichen Glaubens hierbei ist.

Auch in einem säkularisierten Europa lohnt es sich, auf diese Entstehungsgeschichte hinzuweisen und als historischen Befund zu akzeptieren. Von diesem Fundament aus lässt sich viel besser diskutieren, ob es sinnvoll ist, dass konfessionell geführte Kindergärten oder Altenheime überwiegend vom Staat finanziert werden sollen, oder in Schulklassen und Gerichtsräumen ein Kreuz an die Wand gehört, oder nicht.

 

Tim Behrensmeier - 18:52:50 @ Grundgesetz im Gespräch