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12.04.2020

Aufstand der Entrechteten - wie viel Grundgesetz haben wir noch?

„Öffnet die Kirchen zu Ostern!“ fordert der ehemalige ZDF Moderator und bekennende Christ, Peter Hahne und sieht die Religionsfreiheit in Deutschland in Gefahr. 
Aus Sorge um eine weitere Ausbreitung der Pandemie über die Osterfeiertage untersagt die rot-schwarze Landesregierung in Mecklenburg Vorpommern ihrer Bevölkerung Erholungsreisen an die Ostsee. Bewohner des Landes sehen sich in ihrer Freizügigkeit eingeschränkt
und reichen Klagen ein. Das Reiseverbot wird schließlich gerichtlich gekippt.  
Aufgebrachte Bürger bringen Klagen vor und sehen die freiheitliche, demokratische und rechtsstaatliche Grundordnung der Bundesrepublik in Gefahr, z. B. beim Eilantrag an das Verfassungsgericht von der Rechtsanwältin Beate Bahner, die in Deutschland mittlerweile eine polizeitstaatliche Diktatur vermutet. 
www.beatebahner.de

Es sind wohl vor allem zwei Grundrechte, die momentan stark eingeschränkt sind, bzw. generell in Frage stehen: 
Die Freizügigkeit (Art. 11) und im Falle einer drohenden Triage der Artikel 1 (siehe Artikel vom 10.4. „Tragik der Triage“)

Anders als viele Schüler zunächst vermuten, verbirgt sich hinter der Freizügigkeit (Art. 11) nicht das Recht, “freizügig” also, “oben ohne” durch die Fußgängerzone zu laufen, sondern das Bürgerrecht, sich überall in Deutschland frei zu bewegen. Gleichzeitig nennt Artikel 11 diverse Fälle, welche dieses Grundrecht (in Form eines Gesetzes) vorübergehend außer Kraft setzen können: “…zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahr…” Ebenso kennt der Artikel 17a Absatz 2 die vorübergehende Einschränkung von Grundrechten zum Schutz der Zivilbevölkerung. Was dieser Tage passiert (Ausgangsbeschränkungen bis hin zu einer möglichen Ausgangssperre), ist also kein Bruch mit unserer Verfassung, sondern deren Anwendung.

Allen, welche hier einen Polizeistaat oder gar eine Diktatur vermuten sei gesagt, dass unsere Regierung mit breiter Unterstützung der Opposition sensibel die Seuchengefahr abwiegt und sorgsame Maßnahmen zur Bekämpfung einleitet. Dieses Krisenmanagement funktioniert weitaus besser als in den meisten Ländern auf dieser Welt. Oder wäre uns ein US Präsident lieber, der sich anfangs noch über die Pandemie
amüsierte, zeitweise die ältere Generation zugunsten einer brummenden Wirtschaft opfern möchte und sich befleißigt immer wieder gegen den Rat seiner Experten zu handeln, um dann auf dem knappen Weltmarkt für Sicherheitsausrüstung mit Wildwestmanieren anderen Ländern ihre Bestellungen praktisch vor der Nase zu stehlen und in allem nur an seine eigene Wiederwahl im Herbst denkt? 
Wäre uns ein Putin lieber, der eine medial aufgeblasene Hilfslieferung in die USA fliegen lässt, während dieses Material in seinem eigenen Land dringend gebraucht wird. Der russischen Propaganda zufolge sterben Menschen in Russland nicht an Covid-19, sie sterben an Lungenentzündung. Folglich gibt es in Russland auch keine bzw. kaum Corona-Tote. 
Ein Viktor Orban demonstriert uns gerade in Ungarn, wie ein ganzes Volk per Notstandsgesetz praktisch über Nacht entrechtet wird. 
Die Liste der versagenden Staatsoberhäupter und Regierungen ließe sich um viele Boris Johnsons und Erdogans erweitern. Oder denken wir an die vielen Länder Latein- und Südamerikas sowie den afrikanischen Kontinent, deren schwache und mitunter korrupte Regierungen mit der Pandemie völlig überfordert sind.
Und wie ist die Lage in Deutschland? Die Politiker fast aller Parteien stehen zusammen. Das ein Robert Harbeck, Christian Lindner oder Markus Söder überaus lobende Worte für unsere Krisenkanzlerin Angela Merkel finden, darf als historisches Novum gewertet werden.

Wann kommt der Moment, an dem wir als Gesellschaft begreifen, wie stabil unsere Verfassung ist und wie genial und nahezu beispiellos wir durch das Grundgesetz auf diese unvorhersehbare Pandemie vorbereitet waren? 
Wann kommt der Moment, an dem wir unseren Politikern danken, für ihre lebensnotwendige Einheit in der Krise? Das Gesundheitssystem ist gut finanziert, die Regierung hört auf den Rat von Fachleuten, der Staat genießt das Vertrauen als Dienstleister seiner Bürger und die Bürokratie funktioniert. Deutschland, Südkorea, Taiwan oder Singapur gehen beispielhaft, aufgeklärt und wissenschaftlich fundiert mit dem medizinischen GAU um. Wenn ich mir ein Land aussuchen könnte, in dem ich so eine schreckliche Pandemie erleben müsste, dann wäre das Deutschland! 

Aber was ist eigentlich mit den anderen Grundrechten jenseits der Freizügigkeit? 
Sind diese momentan eingeschränkt oder gar außer Kraft gesetzt?

Hier eine kurze Bestandsaufnahme:

Über die sozialen Medien und in den eigenen vier Wänden darf ich mich nach wie vor persönlich entfalten und diversen (Un-)sinn verbreiten.

Es gilt auch immer noch das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2+5).

Nach wie vor ist meine Frau genauso viel Wert wie ich und es herrscht Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3).

Ich darf glauben was ich will und in meinen privaten Räumlichkeiten meine Religion ausüben (Art. 4). Da Kirche überall dort ist, wo die Menschen sind, befindet sich meine Kirche nun eben Zuhause. Gemeinschaft mit anderen Gläubigen ist über online Angebote ebenso möglich, wie die Gottesdienstübertragungen und das gemeinsame Gebet. Allein deshalb zielt obige Forderung von Peter Hahne in eine völlig falsche
Richtung und gefährdet unnötig die Gesundheit der Gesellschaft. 
Zudem sind obige Forderungen geeignet, immer mehr Ausnahmen zur Regel zu machen: Wenn die Kirchen aufmachen, wollen auch andere Glaubensgemeinschaften ihre Türen öffnen, dann folgen die Fußballtempel, die Formel1 Arena, die Volksfeste und Belustigungsmeilen - kurzum alle geographischen Hotspots mehr oder weniger geistlichen Lebens. Der Preis dafür wäre hoch und rücksichtslos. Gerade von einem Christen wie Herrn Hahne würde ich mir an dieser Stelle mehr Feingefühl und gesellschaftliche Solidarität wünschen.

In meiner Tageszeitung wird  während der Coronakrise das Handeln der Politiker kritisch hinterfragt (Art. 5). Und ich habe überhaupt nicht den Eindruck, dass Journalisten für ihre Kritik an den Mächtigen zunehmend ins Gefängnis wandern.

Als Familie fühlen wir uns nach wie vor geschützt. Wir können sicher schlafen und unser Familienleben gestalten. Bezüge, wie das Kindergeld laufen weiter und der Staat hat nach wie vor offene Augen und Ohren, um im Falle von Missbrauch bzw. häuslicher Gewalt einzuschreiten und
insbesondere Kinder und Frauen zu schützen (Art. 6).

Beim Schulwesen (Art.7) regt sich ein verwegener Gedanke: So systemrelevant wie bisher angenommen, scheint die Schule gar nicht zu sein: Plötzlich ist auch Raum für Neues: Wie backe ich Brot? Wie lege ich einen Gemüsegarten an? Wie baue ich ein Gartenhäuschen? Wie mische und verarbeite ich Beton? Wie kann ich mit meinen Freunden digital in Kontakt bleiben? All das sind neue Lernfelder für unsere Kinder. Mittlerweile freuen sie sich sogar auch wieder auf die Schule. Bis es soweit ist, melden sich die Lehrer und betreuen ihre Schüler online - was erstaunlich gut funktioniert. Nein, auch das Schulwesen ist nicht wirklich ausgesetzt.

Zweifelsohne ist das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit (Art. 8) momentan versagt, zumindest in seiner physischen Ausgestaltung. Nicht jedoch, wenn wir es auf kreative Weise in die sozialen Medien holen. Hier ereignen sich tagtäglich Versammlungen im Netz, die der Versammlungsfreiheit vom Prinzip her in nichts nachstehen. Die berühmten Balkonkonzerte, welche in Italien ihren Anfang nahmen und auch in
Deutschland Nachahmung finden. Bewegende Straßenkonzerte entstehen, wo sich Nachbarn in gebührendem Abstand vor Ihren Häusern versammeln um gemeinsam zu musizieren. So spielte z.B. dieser Tage ein spontaner Posaunenchor in Wüstenrot „Großer Gott wir loben Dich“ im Abendrot, allein die Internetaufnahme vermittelte Gänsehautfeeling pur!

Meine Post und Emails sind genauso (un-) sicher, wie vor der Krise (Art. 10). Ein übergriffiger Staat, der unter dem Deckmantel der Gefahrenvereitlung persönliche Daten sammelt, ist in diesen Tagen nicht näher oder weiter gerückt, als er vorher schon war.

Die Berufsfreiheit (Art. 12) die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13), die Eigentumsrechte und Verpflichtungen (Art. 14), der Schutz der dt. Staatsangehörigkeit (Art. 16), das Asylrecht (Art. 16a) sind nach wie vor gewährleistet. Letzteres wird übrigens dieser Tage mit enormen Aufwand an die aktuelle Lage angepasst: Letzte Woche musste ich angemietete Lagerräume in einem früheren Freizeitheim räumen, da diese Anlage kurzfristig zu einer Quarantäneunterkunft für an Corana erkrankte Asylbewerber umfunktioniert wurde, mit enormen Aufwand an Begleitpersonal bis hin zum Sicherheitsdienst. So kann das Asylrecht auch während der Coronakrise gewahrt bleiben.

Wo finden wir in alledem einen übergriffigen Staat? Staatliche Zensur oder Einschüchterung? Denk- und Meinungsverbote? Machthungrige Politiker, die versuchen, aus der Krise zu Lasten der Bürger Kapital zu schlagen? Fehlanzeige! 

Der Staat funktioniert - mehr noch – er läuft auf Hochtouren und orientiert sich zum Schutz seiner Bürger an einem 70-jährigen „Provisorium“, welches sich auch in Krisen wie dieser bewährt und zweifelsohne eine der stabilsten freiheitlichen demokratischen Verfassungen auf dieser Welt sein dürfte.

An alle Unzufriedenen, Nörgler, Drängler und Politikverdrossenen, Klageidealisten und Verschwörungstheoretiker: 
Es ist Zeit die Waffen nieder zu legen, zusammen zu stehen und für unsere Politiker zu danken, die inmitten der Krise keinen perfekten aber doch einen ziemlich guten Job machen. Niemand hat darüber hinaus ein Interesse daran, Bürger zu entmündigen und ihnen bewährte Grundrechte zu rauben, um eine Diktatur zu errichten. Wer so etwas behauptet, kennt wohl kaum unser Grundgesetz und noch viel weniger den leidvollen Alltag einer Diktatur, oder eines Polizeistaates und verwischt zudem durch eine Begriffsinflation klare Grenzen zwischen Rechtsstaat und Unrechtsregime. 

Nicht alles, was dem Bürger nicht gefällt, ist daher automatisch ein Verfassungsbruch.

Angesichts der globalen Herausforderungen, Hunger, Armut und Krankheit zu bekämpfen, sagte John F. Kennedy einmal: 
„Frage nicht was dein Land für dich tun kann, sondern was DU für dein Land tun kannst!“

Im Hinblick auf die weltweite Seuche und der weitgehenden Geborgenheit unter dem Schirm des Grundgesetzes stelle ich fest: 
Mein Land hat viel für mich getan, es ist an der Zeit zu überlegen, was ich für mein Land tun kann: Statt Klage(n) zuversichtlich und dankbar mit Blick auf meinen Nächsten handeln. Ich stelle mir vor, die oben genannte Frau Bahner hätte anstelle einer 36-seitigen Klageschrift an das Verfassungsgericht 36 Mut machende Briefe an Politiker, Freunde und Nachbarn geschrieben. 
Ihre Klage wurde unlängst abgewiesen – Solidarität, Freundlichkeit und Dankbarkeit haben hingegen kein Verfallsdatum und sind genau das, was unser Land dieser Tage braucht!

 

Tim Behrensmeier - 14:38:19 @ Grundgesetz im Gespräch